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Lehren und Lernen - Vom Studiosus bis zum Professor

Beim Wort genommen: "Vorlesung"

Im Zentrum des Studiums vom 14. bis zum 17. Jahrhundert stand die "lectio", die Vorlesung - und das ist wörtlich zu nehmen: Der Professor las aus einem Buch vor. Die Studenten saßen um das einer Kanzel nicht unähnliche Lesepult mit Schalldeckel herum und machten Notizen.

Vor der Erfindung des Buchdrucks taten sie dies in Abschriften der "gelesenen" Werke. Bei den Buchführern (stationarii), etwa in Bologna, konnten Studenten dazu die Handschriften lagenweise als "peciae" gegen Entgelt entleihen und zu Hause eine Abschrift nehmen, die vom Stationarius auf Abschreibefehler hin durchgesehen und -korrigiert wurden.

Nach der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Typen durch Johannes Gensflesich vom Gutenberg machten sich Hochschulen wie Köln die ars impressoria rasch zunutze: Die gängigen Lehrwerke wurden von den Druckern in mehreren Auflagen aufgelegt. Hiervon legt etwa die Bibliographie der Kölner Frühdrucke bis 1500 von Ernst Voulliéme Zeugnis ab. (externer Link, öffnet sich in einem neuen Fenster).

Nach den 1457 reformierten Statuten der Artistenfakultät wurden die Magister verpflichtet, pünktlich anzufangen und genau eine Stunde zu lesen, aber auch nicht länger. Begonnen wurde im Sommer um sechs Uhr morgens, im Winter um sieben Uhr. Aus den Studienbüchern des Johannes Kruyshaer alias Cincinnius von Lippstadt erfahren wir den Text des Gebetes zum Vorlesungsbeginn, das die Bitte um einen wachen Geist einschloß.

Ein Teil der statutenmäßig vorgeschriebenen Vorlesungen wurde in der Artistenschule in der Stolkgasse, ein Teil in den Bursen abgehalten, weswegen ein Großteil der Kölner Studientexte auf den "processum bursae Montis/Laurentianae/...", also die dort verfolgten Lehrtraditionen nach Thomas von Aquin oder Albertus Magnus hinweist.

"Do nannt mich dy gantze stadt 'Das Colnisch copulat' ..."

Aristoteles: Textus trium librorum de anima cum commentario Johannis de Mechlinia secundum doctrinam albertui Magni, a Gerardo de Harderwyck castigato et aucto.
[Köln: Johann Koelhoff, 28. Februar 1491; Bilder: ULB Darmstadt, Signatur: Inc.III.73)

Die Überschrift ist den 1515 erschienenen"Dunkelmännerbriefen" (Epistulae obscurorum virorum) entnommen: Ein (fiktiver) Kölner Magister mußte sich auf seiner Wanderschaft so bezeichnen lassen - sexuelle Anspielungen waren dabei nicht ausgeschlossen ...

Allerdings dürfte es nicht oft vorkommen, daß ein didkatisches Konzept so sehr mit einer Stadt und ihrer Hochschule verbunden wird wie das "Kölnisch Copulat": In diesen Drucken wird der ausgelegte Studientext - hier "Die drei Bücher Über die Seele" des Aristoteles - mit dem scholastischen Kommentar des lesenden Magisters verbunden.

Die Struktur des Textes folgt dabei der Struktur des scholastischen, "schulmäßigen" Disputierens. Die Studenten waren unter Umständen noch keine 14 Jahr alt, wenn sie die Hochschule bezogen; trotzdem mußten sie diese Formen beherrschen, hing davon doch die Graduierung zum Bakkalaureus artium und die Möglichkeit zum Weiterstudium ab.

Die "Dunkelmännerbriefe", die von humanistischen Gelehrten wie Ulrich von Hutten und Crotus Rubeanus verfaßt wurden, waren eine bitterböse Satire am Vorabend der Reformation auf die angeblich rückständige Kölner Universität. Deren Theologen, darunter der Inquisitor Jakob von Hoogstraten, hatten die Forderung nach Verbrennung jüdischer Schriften gegen den Juristen Johannes Reuchlin - Großonkel des späteren Reformators Philipp Melanchthon - unterstützt. Das Image als "Obscuranten-Universität" hing Köln bis zu ihrem Ende an und dürfte im 19. Jahrhundert bei der Verweigerung zu ihrer Wiederrrichtung mitgespielt haben.

Disputieren (nicht diskutieren)

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Seite aus dem Exemplar der aristotelischen "Ars vetus" des Cincinnius (Bild: ULB Düsseldorf, Sign. M.Th.u.Sch.295), Blatt 274.

Die Studenten der Artesfakultät mußten das in den Vorlesungen erworbene theoretische Wissen auch praktisch anwenden in Übungsdisputationen, "aulae". Dabei war ein regelrechtes Protokoll einzuhalten, das uns in den den Studienbüchern des Lippstädter Humanisten Johannes Kruyshaer (alias Cincinnius, ~1485-1555) überliefert ist, der von April 1502 bis 1504 hier studierte:

"In Disputationen einzuhaltende Vorrede: 'Der hochgeehrte Herr Magister der Freien Künste, auch der heiligen Theologie Lizentiat/Baccalaureus formatus etc. hat auf mein Sophisma, in dem ich folgenden Obersatz aufgestellt habe, mit folgenden Gründen eingeandt:

Den Obersatz hat er so bewiesen: etc.; den geanntne Obersatz hat er unentsiedne gleasse nach dem Ersten Buch der Posteriora,. den Untersatz hat er so beweisen: etc.

Zur Lösung, hochverehrter Herr Magister, sage ich : etc."

Um sich zur Prüfung melden zu können, mußte der Student an regulären Disputationen teilgenommen und weiteren beigewohnt haben. Den Abschluß des ersten Studienabschnittes bildete dann die "determinatio" genannte Prüfung, in der der Kandidat unter Prüfungsbedingungen eine Disputation führen mußte. Möglicherweise zur Vorbereitung auf die Prüfung fand sich unter den erhaltenen Büchern des Cincinnius ein Bändchen "Thesaurus sophismatum circa tranctatus parvorum logicalium iuxta disputationum processum bursae Montis" '(Köln: Offizin Heinrich Quentel 1501).

Nach Bestehen wurde der Kandidat zum "Bakkalaureus artium" graduiert, was das Weiterstudium zum Magisterium ermöglichte. Bei "Bachelor" und "Master" sind wir - jedenfalls was die Stufung der Grade anbelangt - wieder gelandet; die Inhalte haben sich freilich geändert. Einen Numerus clausus für das Studium bis zum Magistergrad gab's im Mittelalter allerdings nicht ...

Mit dem Magisterstudium setzte dann jene Doppelung ein, die bis zur Promnotion zum Doktor oder Magister in den "höheren" Fakultäten der Rechte, der Medizin und der Theologie beibehalten wurde: Der den nächsthöheren Rang anstrebende Student wurde in die Lehre genau umrissener Gebiete, die durch die jeweiligen Satzungen vorgegeben waren, eingebunden. Dies wie die

Hermann Weinsberg über akademische Prüfungen im 16. Jahrhundert

Anno 1536, den 13. Juni, bin ich zum Baccalaureus artium vom Magister Hermann Blankfort promoviert worden. Dies war meine allererste Promotion, die sollte Anreizung geben ad altiora (zu Höherem). Darnach hab ich die "Physik" [des Aristoteles] studiert. […]

Anno 1537, im März, bin ich, nachdem ich im Examen gewesen, mit andern Baccalaureis von Dr. Hermann Deithart, dem Universitäts-Vicekanzler, zum Licentiatus artium promoviert worden. Darauf bin ich am 19. Mai mit Josef Goldberg und Goswin Winter aus Rheinberg vom Magister Hermann Blankenforst in der Artistenschule zum Magister der sieben freien Künste promoviert worden. Von den sieben Künsten – das sind Grammatik, Dialectik, Rhetorik, Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie – haben die Magistri Artium den Namen, sollten darin wohl erfahren sein. Aber der Regent und die Meister sehen mehr auf den Nutzen, den sie und die Bursen davon haben, als auf die Geschicklichkeit und lassen gemeiniglich jeden zu, er sei geschickt oder ungeschickt, wenn er nur seine Eide leistet und sein Geld gibt. Wenige sind, welche in den Künsten allen, ja auch nur in der Hälfte, erfahren sind. Und haben mich die Promotionen zum Baccalaureus, Licentiat und Magister siebenundvierzig Gulden gekostet. Es waren auf unserm Magisteressen die sechs Herren Bürgermeister und viele andere, Prälaten, Ratsgenossen, Herren und Freunde, so daß es ein herrlicher Actus war. Zu diesem Meisteressen hatten mir meine Eltern einen wollenen Paltrock machen lassen, es war mein erster, und meinen langen schwarzen Rock ließen sie mir innen mit schwarzem Kamlot füttern; darüber hatte ich in actu magisterii eine Kogel um die Schulter hängen und ein rot Bonnet auf dem Haupt; das waren die insignia magistrorum artium. Magister Bernardus Afflensis opponierte mir; sein Thema war „De republica gubernanda a doctis“ (Über die Regierung des Staats durch die Gelehrten), darauf mußte ich ihm öffentlich respondieren."

Eine Neuerung des 18. Jahrhunderts: Vorlesungsverzeichnisse

Die Studierenden heute informieren sich über die angebotenen Lehrveranstaltungen in "KLIPS", bis vor wenigen jahren erwarb man das einige Wochen vor Semesterbeginn erscheindende gedruckte Vorlesungsverzeichnis, letztmals in dieser Form zum Wintersemester 2009/10.

Ein gedrucktes Vorlesungsverzeichnis gab es in Köln erstmals für das akademische Jahr 1784/85, es erschien in der Kölner Universitätsbuchdruckerei und bot eine Übersicht, über alle Vorlesungen und Übungen. Die Einträge sind freilich mehr als knapp. Mit Ausnahme des ersten, von Gunther Quarg kommentierten und im Faksimile publizierten, bestand das Kölner Vorlesungsverzeichis regelmäßig nur aus einem Doppelblatt, also vier Seiten; es erschien parallel in Deutsch und Französisch als der sprache der "feinen Welt".

Einblicke geben Ihnen die Vorlesungsverzeichnisse für die akademischen Jahre 1787/88 (UA Köln, Zug. 613/6) und1789/90 (UA Köln, Zug. 613/8).

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Bildungshunger 1946: auf dem Weg zur Massenuniversität

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UA Köln, Zug. 20-338: Kriegsbeschädigter im Hörsaal, 1946 (Bild: H. Lambertin, Köln)

Helmut Jansen erinnert sich an sein im Winter 1946/47 wieder aufgenommenes Medizinstudium in Köln:  

"Der Anteil der Medizinstudentinnen betrug etwa ein Drittel der Studierenden. Waren diese meist jung, so begegnete man bei den Medizinstudenten allen Altersklassen, vom "jungen Spund" bis zum 26-jährigen ehemaligen Major und Bataillonskommandeur an der Ostfront, dessen Zivilberuf Abiturient war.

Die alte Landserkameradschaft brachte es mit sich, daß sich die Studenten in der ersten Zeit zu Beginn des Semesters duzten: "Bei welchem Haufen: bist: Du gewesen?" - "3.Fallschirmjägerdivision". - "Aber die haben wir doch Ende November 1944 im Hürtgenwald abgelöst". Schon war man bei den alten Geschichten des Krieges. Die Soldatenzeit hatte uns geprägt.

Da die Kriegsteilnehmer aller Jahrgänge das Studium begannen oder wiederaufnahmen, war die Überfüllung der Hörsäle groß. Man saß dicht gedrängt: auf den Hörsaaltreppen oder auf dem "Glutaeus-Quäler", einem schweren und unbequemen Klappstühlchen aus Eisen und Blech, das man für fünf Reichsmark kaufen konnte. 

Die meisten Hörsäle der Lindenburg waren zerstört. Einer der wenigen erhaltenen Hörsäle war im Badehaus der Lindenburg. Hier wurden auch die Anatomie- und Physiologie-Vorlesungen der Vorkliniker gehalten. In dem besonders kalten Winter 1946/47 war der Hörsaal des Badehauses nicht geheizt, und das beschädigte Dach ließ den Regen durch. Alle fünfzehn Minuten wurde die Vorlesung unterbrochen, und die Studenten wärmten sich durch Trampeln und Armschlagen. Eingemummt in dicke Mäntel, schrieb man die Vorlesung mit fingerlosen Handschuhen.

[...] Die Ausbildung der Medizinstudenten im Kölner Vorklinikum war vorzüglich. Es mußte hart gearbeitet werden. "Wo viel verlangt wird, wird viel geleistet", war die Devise von Otto Veit, einem würdigen Professor mit Anatomenbart. Die von ihm gelehrte Anatomie stand im Zentrum des vorklinischen Studiums. Da der Präpariersaal zerstört war, halfen die Studenten und Studentinnen den Anatonie beim Wieder¬aufbau, damit nach dem Wintersemester 1946/47 in den Semesterferien die Präparierkurse an der Leiche abgehalten werden konnten. Nur diese "Bauarbeiter" unter den Studenten erhielten einen Platz im Präparierkurs.

Es war außerordentlich schwer, Lehrbücher zu bekommen. Den dreibändigen Atlas der Anatomie von Sobotta aus dem Jahre 1930 verkaufte mir ein Zahnarzt für eine Kiste Zigarren. Das Lehrbuch der Physiologie von Rein entdeckten meine Eltern während der Leipziger Messe, konnten es aber nicht in den Westen über die Grenze bringen. Also wurde aus Gewichtsgründen das Buch halbiert unter Versand der beiden Hälften von Leipzig. In Köln wurden dann die beiden Hälften wieder zusammengebunden. Einige nach dem Kriege erschienene Lehrbücher konnte man gelegentlich in einer Kölner Buchhandlung kaufen unter Vermerk auf dem Studentenausweis, damit mit den Büchern keine Schwarzmarktgeschäfte gemacht werden konnten. Ich hatte besonderes Glück, weil mein Vater mir schon im Sommer 1944 das damals beste Lehrbuch der Anatomie von Braus gekauft hatte." (UA Köln, Zug. 488-1)

Vorlesungen in der Massenuni

"Rückt 'mal zusammen - der Prof' will auch noch rein .." (Bild: Pressestelle der Universität, Anneliese Odenthal)

Die Prüfungsvorbereitung - ein einsames Vergnügen

Zugang 614/14: stud.iur. Friedrich Karl Esser bei den Prüfungsvorbereitungen.