Der Nachlass Hans Ludwig Hamburger (Zug. 689)
Der Beitrag des Universitätsarchivs zum "Jahr der Mathematik" 2008
Wissenschaft im allgemeinen und zumal die Mathematik ist ein sich geistig vollziehender Prozeß. Diese Vorgänge für die Wissenschaftsgeschichte sichtbar zu machen, bedarf es der Nachlässe von Fachwissenschaftlern. Durch einen glücklichen Zufall konnten 2007 die wissenschaftlichen Aufzeichnungen aus dem Nachlass des Kölner Mathematikers Hans-Ludwig Hamburger (1889-1956) in das Universitätsarchiv übernommen werden - im "Jahr der Mathematik" 2008 ein vielleicht marginales Ereignis, für Universität zu Köln hingegen ein wichtiger Baustein zu ihrer Geschichte:
Hans Ludwig Hamburger wurde am 5.8.1889 in Berlin als Sohn eines Notars geboren und evangelisch getauft. Er studierte in Berlin, Lausanne, Göttingen und München Mathematik. An der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde er 1914 als Schüler von Alfred Pringsheim (dem Schwiegervater Thomas Manns) aufgrund der Dissertation "Über die Integration linearer homogener Differentialgleichungen" zum Dr. phil. promoviert und nahm 1916 für wenige Monate als Gefreiter eines Artillerieregiments am Ersten Weltkrieg teil.
Nach der Habilitation an der Universität Berlin (1919) wirkte er dort seit 1922 als beamteter außerordentlicher Professor. Zum Sommersemester 1924 wurde er auf den neu errichteten zweitenKölner Lehrstuhl für Mathematik berufen, den er bis zu seiner Beurlaubung am 14.11.1935 im Vorfeld der Ausführungsbestimmungen zum "Reichsbürgergesetzes" innehatte. Aufgrund seiner vier jüdischen Großeltern wurde er zum 1.1.1936 aufgrund dieses Gesetzes mit Versorgungsbezügen in den Ruhestand versetzt. Als er 1939 einen genehmigten Auslandsaufenthalt in den Niederlanden zur Ausreise nach England nutzte, ordnete das Reichserziehungsministerium 1940 die Einstellung der Zahlungen an Hamburger bzw. dessen verwitwete Mutter an.
Hans Ludwig Hamburger lehrte von 1941 bis 1947 am University College in Southampton als ?Lecturer" Mathematik. Nach dem Ende des"Dritten Reiches" erhob er in einem Brief vom 18.10.1947 an Rektor Josef Kroll Anspruch auf seinen alten Lehrstuhl, ließ sich aber am 1.10.1947 für eine Gastprofessur an der Universität Ankara beurlauben. Im Zuge der gesetzlichen Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts ernannte ihn der nordrhein-westfälische Kultusminister am 11.8.1953 wieder zum ordentlichen Professor für Mathematik und Direktor des Mathematischen Instituts in Köln. Von 1954 bis 1955 lehrte Hans Ludwig Hamburger an der Cornell University in Ithaca. Er starb am 14.8.1956 in Köln.
Seinen Nachlaß übergab die Witwe dem Mathematischen Institut, das ihn in der Bibliothek verwahrte. Durch die freundliche Vermittlung von Frau Dipl.-Bibliothekarin Petra Seidel stimmten im November 2007 die Direktoren des Instituts der Abgabe an das Universitätsarchiv zu, um eine konservatorisch günstige Aufbewahrung zu erreichen und den Nachlaß besser der Wissenschaft zugänglich zu machen. Hier ist der Bestand zwischenzeitlich als "Zugang 689" NL Hamburger" akzessioniert und wird derzeit geordnet und verzeichnet.
Die erste Durchsicht und grobe Ordnung der Papiere ergab, dass der Nachlaß fast vollständig aus Notizen - hauptsächlich Berechnungen Hamburgers zu Veröffentlichungen aus seinen Arbeitsgebieten - mit geringen Korrespondenzresten besteht. Er lässt damit genau jene eingangs beschriebenen Einblicke in die "Werkstatt" des Wissenschaftlers zu.
Aus archivwissenschaftlicher Sicht höchst interessant ist dagegen der Umstand, dass Hamburger zeitlebens die freien, unbedruckten bzw. unbeschriebenen Rückseiten älterer Papiere für diese Aufzeichnungen nutzte. Auf diese Weise werden über den wissenschaftsgeschichtlichen Zugang hinaus auch Einblicke in die Verwaltungspraxis der Universität, etwa hinsichtlich der Abrechnung von Hörergebühren möglich, wie sie die amtlichen Akten nicht bieten (können): so fanden die Anmeldungszettel der an seinen Veranstaltungen teilnehmenden Studierenden aus den 1920er- und 30er Jahren eine Zweitverwendung als Notizpapier, ebenso seine Berliner Immatrikel und sogar ein Zweitdruck der Doktorurkunde. Die Praxis von Hans Ludwig Hamburger, die leeren Rückseiten zu benutzen, hat so auch zahlreiche Schriftstücke gerettet, die wichtige Einblicke in den Alltag eines Exilwissenschaftlers geben, angefangen von der wirtschaftlichen Unterstützung bis hin zu sozialen Kontakten im Gastland.
Diese Inhalte des Nachlasse bei der Erschließung ebenfalls mit aufzunehmen, wird neben dem (fachlich bedingt schwierigen) inhaltlichen Zugang zu den wissenschaftlichen Aufzeichnungen eine wesentliche Herausforderung bei der Erschließung dieses Nachlasses darstellen.