zum Inhalt springen

Hermann Jahrreiß beim Nürnberger IMT

Prof. Dr. Hermann Jahrreiß

(Otto Emil) Hermann Jahrreiß wurde am 19. August 1894 in Dresden geboren. Nach dem Leipziger Studium der Rechtswissenschaften und der Philosophie (1914-1917) promovierte er dort im September 1921 zum Dr. iur. und habilitierte sich im Jahre 1923. Zeitgleich war seit 1922 (bis 1927) als Richter am Amts- und Landgericht Leipzig tätig. Von 1927 an lehrte er als plm. ao. Professor in Leipzig und ging 1932 als Ordinarius an die Universität Greifswald, wo er 1937 den Ruf auf den seit 1933 vakanten Kölner Lehrstuhl von Fritz Stier-Somlo erhielt. Von Oktober bis Dezember 1939 vertrat er Öffentliches Recht an der Universität Göttingen und war 1942 - in Form einer wechselseitigen Berufung - statt Ernst Forsthoff, de anch Köln wechsel sollte, für einen Lehrstuhl für Völkerrecht an der Universität Wien im Gespräch, was aber wegen Ablehnung Forsthoffs durch den Kölner NS-Dozentenbund nicht zustandekam. Nach Schließung der Universität Köln im Oktober 1944 wurde Jahrreiß an die Universität Innsbruck abgeordnet; das Kriegsende erlebte er in Garmisch-Partenkirchen.

Hier erhielt Hermann Jahrreiß am 6. November 1945 die Aufforderung, zusammen mit seinem Münchener Kollegen Prof. Dr. Franz Exner den Generalobersten Alfred Jodl vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg zu verteidigen. Wegen seiner schwebenden Kölner Entnazifizierung und Wiederzulassung schrieb er am 11.11.1945 an den kommissarischen Rektor Kroll:

"Ich hoffe, dass die Militär-Regierung in Erwägung zieht, dass ich mich dem Appell, der von dem Wunsch des amerikanischen Generalstaatsanwalts provoziert wurde, jeder Angeklagte solle seinen Verteidiger haben, nicht entziehen kann. Ich habe allerdings von vornherein erklärt, dass ich die Aufgabe nur übernehmen könne, wenn ich an der Findung der Wahrheit und des Rechts mitarbeiten könne ohne Rücksicht darauf, ob das im Einzelfall für den Angeklagten günstig oder ungünstig sei. Verteidigung à tout prix wäre ein fundamentaler Fehler, abgesehen davon, dass ich als ehemaliger Richter wie als Gelehrter dazu einfach nicht das Zeug hätte.

Die Anklagen sind so ungeheuerlich, dass wir Deutschen nicht weniger als sonst jemand alles Interesse daran haben, dass die Dinge sorgfältig geprüft werden, wie das nur möglich ist, mag das Ergebnis welches immer sein."

 

Nach Verkündigung des Urteils im Hauptkriegsverbrecherprozeß erhielt Jahrreiß das Angebot, als Verteidiger im "Ärzteprozeß" - dem ersten Nürnberger Nachfolgeverfahren - tätig zu werden, oder in Rom den deutschen General Kesselring zu verteidigen. Alle diese Angebote lehnte Jahrreiß im Hinblick auf sein Kölner Lehramt ab. Am 30. Dezember 1946 teilte er dem Kölner Universitätsoffizier Dr. Harry Beckhoff dagegen mit, daß er das Angebot angenommen habe, "am Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg in dem Redaktionsstab,[!] mitzuarbeiten, der das gesamte Urkundenmaterial des Hauptprozesses in den vier Prozeßsprachen herausgibt. Die amerikanische Leitung des Stabes ist damit einverstanden, daß ich jederzeit ausscheide, sobald es die Interessen der Universität Köln erfordern." Als Jahrreiß unter Berufung auf diese Klausel zum Sommersemester 1947 sein Ausscheiden beantragte, wurde ihm und den Besatzungbehörden in Nordrhein-Westfalen deutlich signalisiert, daß das IMT diesem Antrag nicht zustimmen würde.

Die Aufgabe im Prozeß

39 Jahre später - 1984, anläßlich Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Universität - , faßte Jahrreiß seine Aufgaben in Nürnberg folgendermaßen zusammen:

"Als die Verteidiger die Anklage-Schrift bekamen, sahen sie sofort, daß die Auseinandersetzung in Rechtsfragen viel weniger dem Strafrecht als dem Völkerrecht und dem deutschen Verfassungsrecht zugehören würden. Exner, mein Münchener Kollege, verteidigte den Generaloberst Jodl. Er wandte sich an mich, ob ich die Verteidigung in den großen Grundfragen beraten wolle. Ich sagte selbstverständlich zu und ging nach Nürnberg. Das Militär-Tribunal stimmte zu und machte mich zum Mitverteidiger von Jodl, da die Prozeßordnung Nur-Sachverständige nicht vorsah. Ich habe Jodl dann mit verteidigt und habe die Verteidiger beraten. Es ergab sich bald und unvorhergesehen eine Erweiterung meiner Aufgabe.

Der Hauptankläger, [...], Justice Jackson, hielt zu Beginn der Verhandlung vor dem Tribunal eine Rede mit grundsätzlichen Rechtsausführungen, auf die von deutscher Seite geantwortet werden mußte, auf die aber keiner der Verteidiger bei der Verteidigung seines Mandanten eingängig genug antworten konnte. Das Gericht sitmmte dem Wunsch der Verteidiger zu, daß ich zu Beginn der Verteidiger-Plädoyers eine umfassende Rede zu den rechtlichen Grundfragen halten sollte.

Dieses Gegenplädoyer habe ich dann am 4. Juli 1946 gehalten. Es vorzubereiten war eine schwere Aufgabe. Denn - [...] - ich brauchte, was ich nicht hatte, sehr viel und sehr wichtiges Rechts-Schrifttum, und zwar einmal zum deutschen Verfassungsrecht, denn da war für Ankläger und Gericht viel richtig zu stellen, und da hat mir die Universität Köln entscheidend geholfen, [...] und sodann zum Völkerrecht, besonders in der Frage des Kriegsächtungspaktes.  Während des Krieges war in den Vereinigten Staaten, England, Franikreich viel wichtiges veröffentlicht worden, wovon wir im eingeschlossenen Deutschland allenfalls die Titel kannten. Ich bat das Gericht mit einer großen Wunschliste um Hilfe. Nur die Feind-Seite verfügte ja über die Bücher und Dokumente, z.B. über die Protokolle des Senats der USA über die Debatte um die Ratifizierung des Briand-Kellogg-Paktes, des sogenannten Kriegsächtungspakts. Und es geschah: Wenige Tage später überbrachte man mir - es war aus Washington hergeflogen worden - alles Gewünschte, darunter auch alles, was im Bereich der Westmächte veröffentlicht worden war und mit der Anklage nicht harmonisierte. Ich konnte nun wirklich den gesamten Stand der Rechtsauffassungen in der Welt übersehen und wissenschaftlich verarbeiten. Ich habe mich damals für diesen Akt einer fairen Hilfe zu Beginn meines Plädoyers öffentlich bedankt. Ich möchte es auch hier tun."

(Quelle: UAK, Zugang 571/239; veröffentlicht in: Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Universität zu Köln an Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Jahrreiss durch den Rektor und Senat der Universität zu Köln. Köln 1984 (= Kölner Universitätsreden; 62), S. 23-25.